Charity für Chile - Tanzen für einen GUTEN ZWECK

      Vielen Dank für die spontane Hilfsaktion

      für uns war es das erste Erdbeben, das wir live und in Farbe und zum Glück unbeschadet miterleben durften. Es darf aber auch gern das letzte gewesen sein...

      Wir waren grade ca 500 km südlich des Epizentrums vor der Küste nahe Concepcion. Die Auswirkungen des Bebens der Stärke 8,8 sind bei uns noch mit immerhin 7,0 angekommen und haben uns morgens um halb vier ca 1,5 Minuten lang durchgeschüttelt. Das grosse Holzhaus, in dem wir mit mehreren anderen Gästen gewohnt haben, hat aber alles gut weggesteckt. Aufregend und angsteinflössend war es trotzdem. Danach hat es eigentlich nicht mehr aufgehört, mal mehr mal weniger zu grollen und zu vibrieren. Erst als wir wieder hier zu Hause waren, haben wir gemerkt, wie sehr uns grade das eigentlich zu schaffen gemacht hat. Der Begriff "in Sicherheit" relativiert sich deutlich.

      Dort auf dem Land hat man dann erstmal gar nicht so realisiert, wie gross die Schäden an anderen Stellen waren, das haben wir erst gesehen, als wir wieder nach Norden Richtung Santiago gefahren sind. Die Kommunikation und die Stromversorgung waren erstmal zwei Tage lahmgelegt, aber da nichts wirklich kaputt gegangen ist, hat man erstmal weitergemacht. Wir sind wie geplant für drei Tage in die Berge geritten und waren sowieso ausser Hörweite. Danach wurde dann das ganze Ausmass publik und auch in Chile selbst lief eine riesige Hilfsaktion an. In jeder Stadt, jedem Dorf haben sich lokale Künstler zusammengefunden und eine landesweite Show organisiert, die wirklich die Massen mobilisiert hat. Es zeigte sich die grosse Verbundenheit der Chilenen zu ihrer eigenen Kultur, ihrer traditionellen und modernen Musik, und zu ihrem Volk.

      Ein paar Tage später kehrten wir wieder in das Haus unserer Freunde zurück, ca 120 km südlich von Santiago. Der Weg dorthin über die einzige nennenswerte Nord-Süd Verbindung Chiles, die Autobahn Ruta 5, gestaltete sich als schleppend. Die geringeren Schäden waren bereits recht gut behoben. Dennoch waren Absenkungen in der Fahrbahn, kleinere und grössere Risse im Asfalt und völlig dem Blickfeld entschwundene Mittel- und Seitenstreifen nicht selten. Die eine oder andere Brücke war auch einfach weg. Die Umleitungen haben sehr viel Zeit und Nerven gekostet, denn wenn man die Einheimischen fragt, ob denn an der kleinen Strasse die Brücke noch befahrbar ist, die deutlich auf der Karte sichtbar ist, bekommt man Antworten von "da gibts gar keine Brücke, hats noch nie gegeben" bis "befahrbar schon, aber mit diesem Auto schafft ihr das nie bis dahin". Wenn man einigermassen die Sprache versteht kann man immerhin so wichtige Details, wie den Namen der Brücke erfahren, der dann auch brav auf allen Hnweisschildern verwendet wird - jedenfalls auf denen die man im Dunkeln sehen kann....

      Zugegeben, die Strasse verdiente den Namen nicht und hat uns diverse Risse im Tank beschert, aber dafür haben wir dort, in der Nähe des Epizentrums, gewaltige Eindrücke über die Schäden an den einfachen Adobe Häusern der Landbevölkerung gewonnen, die wir nicht mehr vergessen können. Das Dorf Villa Prat zum Beispiel war zu mindestens 90% zerstört. Die Häuser, die keine auf den ersten Blick erkennbaren Schäden hatten, waren an einer Hand abzuzählen. Wir fanden es unangemessen, dort zu fotografieren. Viele Menschen waren mit dem Abtragen der Ruinen beschäftigt. In den grossen Städten haben sich die Studenten aufs Land fahren lassen, um dort den Leuten beim Abtragen zu helfen, die das aus eigener Kraft nicht leisten konnten. Die Regierung hatte die wichtigsten Unterstützungsleistungen an die Bedingung gekoppelt, zuvor die einsturzgefährdeten Reste komplett entfernt zu haben. Das war auch richtig so, denn ein paar Tage später kam das erste grössere Nachbeben. Die ersten notdürftigen, aber festen Holzhäuser wurden auch bereits aufgebaut. Die Regierung hatte damit eigentlich ein Programm zur Bewältigung der Obdachlosigkeit realisieren wollen, jetzt wurden sie noch dringender benötigt. Man hatte Angst, vor dem bevorstehenden Winter nicht mehr genügend Wohnraum schaffen zu können.

      Die traditionelle Bauweise aus Adobe Ziegeln, ein getrocknetes Gemisch aus Lehm und Stroh, hat einem Beben solchen Ausmasses nicht viel entgegenzusetzen. Die Ziegel werden mehr oder weniger ohne verbindenden Mörtel zu recht dicken Wänden aufgeschichtet. Das ist zwar klimatisch ein grosser Vorteil, aber bei grösseren Erdbewegungen verschieben sich die Bausteine leicht gegeneinander und ganze Mauern brechen zusammen, lassen die daraufliegenden Dächer herunterfallen. Seit 1985, dem letzten grösseren Beben, gibt es eigentlich strenge Richtlininen für erdbebensicheres Bauen. Geldmangel und Traditionsverbundenheit lassen aber grosse Teile der Bevölkerung darüber hinwegsehen. Den enormen Unterschied zwischen alter und neuer Bauweise konnten wir selbst beim zweiten Beben erkennen, das wir im Haus unserer Freunde miterlebt haben. Dieses war tatsächlich nach den Richtlinien gebaut und hat beide Beben völlig unbeschadet überstanden - obwohl auch hier fast alle alten Häuser im Dorf, einschliesslich der Kirche, bis zur Abrissreife beschädigt wurden.

      Dieses zweite Beben hatte es, obwohl nominell nicht stärker, in sich. Wir hatten grade gefrühstückt und überlegt, ob wir diesen letzten Urlaustag an der Küste im naheliegenden Badeort Pichilemu verbringen sollten, als der erste von mehreren über den Tag verteilten Erdstössen mit gewaltiger Geräuschkulisse die Einmachgläser aus den Regalen schleuderte. Alle Nachbarn versammelten sich auf einem freien Platz, kümmerten sich um Nachbarn und Angehörige, und versuchten, die Nerven in den Griff zu bekommen. Das Epizentrum: Pichilemu, ca 50km entfernt. Die Nähe zum Zentrum verlieh auch diesen schwächeren Beben einen viel gewaltigeren Charakter, als die zwar starken, aber eher betulichen Schwingungen unseres ersten Erlebnisses, das eigentlich mehr von den Bewegungen des Hauses verstärkt wurde. Keine Vorwarnung, ein oder zwei explosionsartige Kracher, bei denen man die Setzung der Erdschichten spürt, und dann das abebbende Rollen der erzeugten Schwingungen. Man kommt sich absulot klein und hilflos vor, wenn man kaum geradeaus gehen kann, obwohl man nach den Erfahrungen der vergangenen Tage schon so viel coolness an den Tag legt, eine halbwegs vernunftgesteuerte Abschätzung der Gefahr zu versuchen, und nicht kopflos rauszurennen. Das helle Tageslicht trägt natürlich auch seinen Teil zu der geänderten, wenn auch nicht positiveren Wahrnehmung bei. Man steht auf einem offenen Platz und muss ein paar Ausgleichsschritte machen, um nicht umzufallen, das rüttelt an den bisherigen Grundwerten.

      Seit einer Woche sind wir nun wieder hier und können auch wieder eine ganze Nacht durchschlafen: der Körper lässt sich nicht einlullen, möchte aufspringen, wenn eine Tür zuknallt, ein LkW vorbeirumpelt oder auch nur der Tisch wackelt. Nochmal, vielen Dank für eure spontane Aktion und die Bereitschaft, zu helfen. Die Menschen dort haben es verdient, die meisten von ihnen können nicht in einen Flieger steigen, um wieder sagen zu können "ich fühle mich sicher!".
      Vielen lieben Dank für diesen tollen Bericht. Ich habe beim Lesen mehr als nur einmal eine Gänsehaut bekommen. An mir ist so etwas bislang ein Glück immer vorbeigezogen, aber ich bete jedesmal für die Freunde, die ich in Zentral- und Südamerika habe, wenn beispielsweise ein Hurrikan mal wieder über Cuba zieht oder ein Erdbeben in Mexico-City in den Nachrichten erscheint.
      Wir sollten wirklich viel mehr zu schätzen wissen, wie gut es uns hier wirklich geht!
      Das absolute Wissen führt zu Pessimismus; die Kunst ist das Heilmittel dagegen.
      Friedrich Nietzsche (1844-1900), dt. Philosoph


      @"KäptnHook"

      Danke für dein Bericht... mir ging es wie Eva, als ich es gelesen habe... habe echt ein mulmiges Gefühl bekommen....

      Ich musste mich sofort einen Freund von mir erinnern: Er reif mich an und war fix und fertig, weil er seine Familie in Chile nicht erreichen konnte!
      Die Infrastruktur ist total zusammen gebrochen und man weiß, bei eingen bis heute noch nicht, wo sie geblieben sind.... Schrecklich....

      So etwas wünscht man keinem...