Altkleiderspenden - Export vernichtet Arbeitsplätze
(WDR, Dienstag, 22. November 2005)
Von Gitti Müller
Jeder kennt das: Der Kleiderschrank ist wieder einmal zu voll, die Hose längst out, der Wollpullover zeigt erste Knötchen und der Blazer spannt. Also ab damit in den Altkleidercontainer oder in die Straßensammlung. So werden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Der Kleiderschrank wird entrümpelt und wir tun Gutes - so jedenfalls glauben wir es. Jedes Jahr werden rund 700.000 Tonnen Altkleider in Deutschland gesammelt. Aber was passiert tatsächlich mit den ausrangierten Teilen? Werden sie an Bedürftige verteilt?
Egal auf welchem Wege sie gesammelt werden, ob in den Containern von karitativen Organisationen oder von kommerziellen Händlern: Unsortiert gelten unsere abgelegten Hosen juristisch als Müll. Deshalb wird die Ware zunächst an eine der wenigen so genannten Sortierfirmen in Deutschland, Belgien oder Holland verkauft. Was als Sachspende gedacht war, wird also zu einer Geldspende. Die Sortierfirma trennt die Spreu vom Weizen, besser gesagt die brauchbaren von unbrauchbaren, verschmutzten oder beschädigten Kleidungsstücken. Nur erstklassige Ware - und das sind nur etwa zwei Prozent - bleibt im Land bzw. kommt zurück nach Deutschland. Sie geht in die Second-Hand-Läden.
Hälfte nicht mehr tragbar
48 Prozent der Kleidung wird exportiert. Das Meiste wird nach Afrika verkauft, aber auch Südamerika, Osteuropa und die arabischen Länder sind Abnehmer für Altkleider. Der Verkauf ist gewinnbringend und finanziert einen anderen Teil der Entsorgung: Rund 50 Prozent der Altkleider sind nämlich nicht mehr tragbar und müssen recycelt oder entsorgt werden. Zehn Prozent davon sind schlicht Müll, 20 Prozent gehen in die Putzlappenproduktion und weitere 20 Prozent dienen der Faserrückgewinnung, die etwa als Autoisoliermaterial verwendet wird.
Entsorgung und Recycling sind teuer und können nur durch eine Mischkalkulation finanziert werden. Vereinfacht gesagt: Um unseren Textilmüll loszuwerden muss ein großer Teil gewinnbringend in die so genannte Dritte Welt geschickt werden - mit unerfreulichen Konsequenzen für die Menschen in den Empfängerländern. Sie werden sie mit wenig haltbaren Kleidungsstücken überflutet, die nicht ihrer Kultur entsprechen. Wirtschaftlich gesehen können die Folgen aber weitaus dramatischer sein. So können einheimische Textilmärkte empfindlich gestört werden, Menschen dadurch ihre Existenzgrundlage verlieren. Beispiel Bolivien: Das Land hat nur acht Millionen Einwohner, die aber täglich mit 15 Tonnen Altkleider aus USA und Europa bedacht werden. In den neunziger Jahren hatte sich eine lokale Textilindustrie mit Garn- und Kleidungsherstellern etabliert, die durch die wachsenden Altkleiderimporte aber drastische Einbußen hinnehmen musste.
Mehr als 20.000 Arbeitsplätze pro Jahr verloren
Nach einer aktuellen Studie des Instituts für Außenhandel in La Paz, die in der kommenden Woche veröffentlicht werden soll, kostet dieser Kreislauf mehr als 20.000 Arbeitsplätze pro Jahr. Diese Zahl bezieht sich dabei nur auf den offiziellen Arbeitsmarkt. Und Arbeitsplätze sind ohnehin rar in Bolivien. Der größte Teil der Bevölkerung lebt in so genannter Subsistenzwirtschaft, das heißt, sie versorgen sich selbst oder führen das, was wir in Deutschland eine „Ich-AG“ nennen: ein Kleinunternehmen. Handgestrickte Pullover und im Kleinatelier hergestellte Jacken haben aber kaum noch eine Chance auf dem Markt, da die Billigware aus Altkleidersammlungen überall zu kaufen ist. Ob Hosen, Pullover, Jacken oder Anzüge: In La Paz sind ganze Straßenzüge voll mit Second-Hand-Ware aus USA und Europa. Und die wird nicht nur von Armen gekauft, sondern auch von Besserverdienenden und sogar von Touristen. Der Ein oder Andere findet hier vielleicht manche gespendete Hose wieder.
Alternativen zum Export
Wohin aber mit den Altkleidern, wenn solche Folgen für Länder der Dritten Welt vermieden werden sollen? Engagierte Jugendliche wollen in Zukunft mehr Altkleider auf Second-Hand-Märkten in Deutschland anbieten. Natürlich soll auch dieser Erlös den Projekten in Bolivien zugute kommen. Der erste Termin für einen solchen Markt steht auch schon fest: 4. und 5. Februar 2006 in Vallendar bei Koblenz.
Wer sicher sein will, dass seine Kleidung nicht nach Übersee geht, kann sie auch direkt in einer Kleiderkammer abgeben. Aber Achtung: Auch hier bleibt nur das, was in gutem Zustand ist und gewaschen und gebügelt abgegeben wurde. Alles andere kann auch hier an Händler weitergegeben werden. Manche Gemeinden, Kindergärten oder Schulen veranstalten Flohmärkte oder Tauschbörsen, insbesondere für Kinderkleidung. Grundsätzlich gilt: Bringen Sie nur gute und tragbare Kleidung weg. Nicht tragbare Kleidung gehört in den Müll.
(WDR, Dienstag, 22. November 2005)
Von Gitti Müller
Jeder kennt das: Der Kleiderschrank ist wieder einmal zu voll, die Hose längst out, der Wollpullover zeigt erste Knötchen und der Blazer spannt. Also ab damit in den Altkleidercontainer oder in die Straßensammlung. So werden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Der Kleiderschrank wird entrümpelt und wir tun Gutes - so jedenfalls glauben wir es. Jedes Jahr werden rund 700.000 Tonnen Altkleider in Deutschland gesammelt. Aber was passiert tatsächlich mit den ausrangierten Teilen? Werden sie an Bedürftige verteilt?
Egal auf welchem Wege sie gesammelt werden, ob in den Containern von karitativen Organisationen oder von kommerziellen Händlern: Unsortiert gelten unsere abgelegten Hosen juristisch als Müll. Deshalb wird die Ware zunächst an eine der wenigen so genannten Sortierfirmen in Deutschland, Belgien oder Holland verkauft. Was als Sachspende gedacht war, wird also zu einer Geldspende. Die Sortierfirma trennt die Spreu vom Weizen, besser gesagt die brauchbaren von unbrauchbaren, verschmutzten oder beschädigten Kleidungsstücken. Nur erstklassige Ware - und das sind nur etwa zwei Prozent - bleibt im Land bzw. kommt zurück nach Deutschland. Sie geht in die Second-Hand-Läden.
Hälfte nicht mehr tragbar
48 Prozent der Kleidung wird exportiert. Das Meiste wird nach Afrika verkauft, aber auch Südamerika, Osteuropa und die arabischen Länder sind Abnehmer für Altkleider. Der Verkauf ist gewinnbringend und finanziert einen anderen Teil der Entsorgung: Rund 50 Prozent der Altkleider sind nämlich nicht mehr tragbar und müssen recycelt oder entsorgt werden. Zehn Prozent davon sind schlicht Müll, 20 Prozent gehen in die Putzlappenproduktion und weitere 20 Prozent dienen der Faserrückgewinnung, die etwa als Autoisoliermaterial verwendet wird.
Entsorgung und Recycling sind teuer und können nur durch eine Mischkalkulation finanziert werden. Vereinfacht gesagt: Um unseren Textilmüll loszuwerden muss ein großer Teil gewinnbringend in die so genannte Dritte Welt geschickt werden - mit unerfreulichen Konsequenzen für die Menschen in den Empfängerländern. Sie werden sie mit wenig haltbaren Kleidungsstücken überflutet, die nicht ihrer Kultur entsprechen. Wirtschaftlich gesehen können die Folgen aber weitaus dramatischer sein. So können einheimische Textilmärkte empfindlich gestört werden, Menschen dadurch ihre Existenzgrundlage verlieren. Beispiel Bolivien: Das Land hat nur acht Millionen Einwohner, die aber täglich mit 15 Tonnen Altkleider aus USA und Europa bedacht werden. In den neunziger Jahren hatte sich eine lokale Textilindustrie mit Garn- und Kleidungsherstellern etabliert, die durch die wachsenden Altkleiderimporte aber drastische Einbußen hinnehmen musste.
Mehr als 20.000 Arbeitsplätze pro Jahr verloren
Nach einer aktuellen Studie des Instituts für Außenhandel in La Paz, die in der kommenden Woche veröffentlicht werden soll, kostet dieser Kreislauf mehr als 20.000 Arbeitsplätze pro Jahr. Diese Zahl bezieht sich dabei nur auf den offiziellen Arbeitsmarkt. Und Arbeitsplätze sind ohnehin rar in Bolivien. Der größte Teil der Bevölkerung lebt in so genannter Subsistenzwirtschaft, das heißt, sie versorgen sich selbst oder führen das, was wir in Deutschland eine „Ich-AG“ nennen: ein Kleinunternehmen. Handgestrickte Pullover und im Kleinatelier hergestellte Jacken haben aber kaum noch eine Chance auf dem Markt, da die Billigware aus Altkleidersammlungen überall zu kaufen ist. Ob Hosen, Pullover, Jacken oder Anzüge: In La Paz sind ganze Straßenzüge voll mit Second-Hand-Ware aus USA und Europa. Und die wird nicht nur von Armen gekauft, sondern auch von Besserverdienenden und sogar von Touristen. Der Ein oder Andere findet hier vielleicht manche gespendete Hose wieder.
Alternativen zum Export
Wohin aber mit den Altkleidern, wenn solche Folgen für Länder der Dritten Welt vermieden werden sollen? Engagierte Jugendliche wollen in Zukunft mehr Altkleider auf Second-Hand-Märkten in Deutschland anbieten. Natürlich soll auch dieser Erlös den Projekten in Bolivien zugute kommen. Der erste Termin für einen solchen Markt steht auch schon fest: 4. und 5. Februar 2006 in Vallendar bei Koblenz.
Wer sicher sein will, dass seine Kleidung nicht nach Übersee geht, kann sie auch direkt in einer Kleiderkammer abgeben. Aber Achtung: Auch hier bleibt nur das, was in gutem Zustand ist und gewaschen und gebügelt abgegeben wurde. Alles andere kann auch hier an Händler weitergegeben werden. Manche Gemeinden, Kindergärten oder Schulen veranstalten Flohmärkte oder Tauschbörsen, insbesondere für Kinderkleidung. Grundsätzlich gilt: Bringen Sie nur gute und tragbare Kleidung weg. Nicht tragbare Kleidung gehört in den Müll.
Das absolute Wissen führt zu Pessimismus; die Kunst ist das Heilmittel dagegen.
Friedrich Nietzsche (1844-1900), dt. Philosoph
Friedrich Nietzsche (1844-1900), dt. Philosoph